Sächsische Zeitung, Seite 3, 12.11.2016

Der Flüchtling

Weil er und seine Frau sich in Sachsen bedroht fühlten, wählte Lutz Bachmann die Kanareninsel Teneriffa als neue Heimat. Doch dort ist der Zuwanderer nicht willkommen.

Von Tobias Wolf

Sein neue2016-11-12-BachmannTeneriffar Zufluchtsort ist eine Festung. Die Zufahrt zum Parkplatz ist durch eine Schranke gesichert, an der Rezeption steht ein Wachdienst. Für die wenigen Fußgängerpforten in der Hunderte Meter langen Mauer ringsum braucht man einen Schlüssel. Die Fensterseiten mit den Balkonen zeigen alle nach innen. Die anonyme Appartementanlage ganz im Süden der Ferieninsel Teneriffa wirbt mit dem Slogan „Eine Stadt zum Leben“. Sie ist ein nahezu perfektes Versteck, öffentlicher Zutritt verboten.

Lutz Bachmann macht einen gehetzten Eindruck, als er am vergangenen Dienstagabend auf dem Königin-Sofia-Flughafen mit einer Ryanair-Maschine aus Berlin eintrifft. Am Samstag war er auf Einladung des neurechten Magazins Compact als Referent bei der „Konferenz für Meinungsfreiheit“ in der Bundeshauptstadt aufgetreten, hatte dort seine Eltern getroffen. Am Montag sprach er bei Pegida in Dresden. Nun wartet der 43-Jährige auf der kanarischen Urlaubsinsel neben den Gepäckbändern. Er trägt eine schwarze Jacke, Jeans, Turnschuhe, sieht sich auffällig oft um.

Bachmann weiß: Auch auf Teneriffa ist er inzwischen ein bekannter Mann. Im September war sein Umzug publik geworden, Ende Oktober erklärte ihn das Regionalparlament der Insel einstimmig zur unerwünschten Person. So etwas hat es auf Teneriffa nie zuvor gegeben.

Der Sprecher der Sozialisten auf Teneriffa, Miguel Angel Perez, begründet den Abgeordnetenbeschluss: „Wir sind gastfreundlich und tolerant. Wir können nicht einfach zuschauen, wenn sich jemand, der rassistische Tiraden gegen Muslime in Deutschland und auf Facebook ablässt, in unserer Mitte niederlässt.“ Fernando Sabate von der Podemos-Bewegung ergänzt: „Es ging uns um ein politisches Zeichen.“ Der Parlamentsentscheid ist juristisch unbedeutend. Auch für den Pegida-Chef gilt das Recht, seinen Wohnsitz innerhalb der Europäischen Union frei wählen zu dürfen.

Dieser neue Wohnsitz liegt gar nicht weit entfernt vom Flughafen. In nur wenigen Autominuten ist die Appartementanlage „Atlantic“ in El Guincho ganz im Süden Teneriffas erreicht. Kaum ist Bachmann dort angelangt, sind nach fünfstündiger Flugpause auf seiner Facebook-Seite wieder die ersten Posts gegen alles Muslimische dieser Welt, gegen etablierte Politiker und Medien zu lesen.

In einem der 320 Appartements der Anlage verbringt Bachmann die Nacht, in der Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wird. In weiten Teilen ist die geschlossene Siedlung mit ihren drei Pools noch eine Baustelle, 800 Wohneinheiten sollen insgesamt entstehen.

Für 730 Euro kalt lässt sich eine Villa mieten, wobei sich hinter dem Begriff „Villa“ ein schlichter schnörkelloser Standardbetonbau verbirgt. Man lebt Wand an Wand. Parterre-Wohnungen kosten 570 Euro kalt. Wer nur drei Monate unterkommen will, muss lediglich einen Pass vorlegen und im Voraus bezahlen. Meistens bar, eine anschließende Verlängerung ist problemlos möglich. Für eine langfristige Miete hingegen sind ein spanischer Arbeitsvertrag und Einkommensnachweise vorzulegen. Den Mietvertrag hat Bachmann nach SZ-Informationen nicht selbst abgeschlossen.

Man hätte ihn gern persönlich gefragt, wie er das Leben auf der Insel, die ihn nicht haben will, lebt und finanziert. Ob er einen Gönner hat. Ob er einer geregelten Arbeit nachgeht. Wie er seine Zukunft sieht. Und die von Pegida. Ob er irgendetwas bereut von dem, was er in den vergangenen zwei Jahren gemacht hat. Doch auf den Vorschlag, sich zu treffen, reagiert der 43-Jährige nicht. Bekannt ist nur, was er via Facebook schon vor Wochen mitteilte. Er habe auf Teneriffa Werbeaufträge, und er sei an Sanierungsarbeiten von Hotels beteiligt.

Ein Redakteur der Zeitung La Opinion in Santa Cruz im Norden der Insel zählt zu den wenigen spanischen Journalisten, die bislang Kontakt mit Bachmann hatten, wenn auch nur über Facebook. Er erzählt, Bachmann habe Fragen zu seiner Arbeit auf der Insel nicht beantwortet. Der Pegida-Gründer habe ihm nur geschrieben, dass er aus Sicherheitsgründen auf Teneriffa lebe. In Deutschland fühle er sich bedroht, und die Geheimdienste wären hinter ihm her.

Die Nacht, in der Trump gewann, muss ein innerlicher Vorbeimarsch für Bachmann gewesen sein. „Lieber Herr Präsident“, schreibt er auf Englisch auf Facebook morgens um halb neun, „können Sie schon einige Räume für Verräter wie Merkel in Guantanamo reservieren?“ Dann kündigt er an, sich auf Trumps Sieg zur Feier des Tages ein „riesiges, echtes, amerikanisches (T)Rumpsteak“ zu gönnen.

Unentwegt unterhält Bachmann vor allem seine Anhänger im fernen Sachsen mit Posts und Kommentaren im Stundentakt. Dass im lokalen Hörfunk an diesem Tag die Nachricht verbreitet wird, der Stadtrat der zweitgrößten Kommune auf Teneriffa, San Cristobal de La Laguna, habe sich ausdrücklich hinter den Parlamentsbeschluss gestellt, ihn als unerwünscht anzusehen – das teilt er seinen Fans in der alten Heimat nicht mit.

Der Mann, der es vor zwei Jahren aus dem Nichts auf die Titelseite der New York Times schaffte; der Mann, der mit Pegida eine große Anti-System-Bewegung aus dem Boden stampfte und damit die gesellschaftliche Spaltung einer Großstadt vorantrieb – er ist auf Teneriffa selbst zum Getriebenen geworden. Von Gelassenheit oder gar innerer Einkehr ist nichts zu erkennen, wenn er etwa mit seiner Frau Vicky mit einem weißen Golf ins Gewerbegebiet von Las Chafiras zum Einkaufen fährt. In weißem T-Shirt, bunter Strandhose, Badeschlappen, Basecap und Sonnenbrille steht er da, gestikuliert, drängt seine Frau zur Eile. Sie kann seinen weit ausholenden Schritten kaum folgen, macht einen deprimierten Eindruck. Während er sich in den Kofferraum beugt, trägt sie die Saftkartons und Kaffeepackungen.

Das Ehepaar Bachmann lebt schon seit Monaten auf der Insel. Nach SZ-Informationen hatten sie im Frühjahr ihren Golf bis unters Dach beladen und waren von Andalusien aus nach Teneriffa mit der Fähre übergesetzt. Einer ihrer ersten Zufluchtsorte war Armenime, ein verschlafenes Dörfchen inmitten einer kargen Landschaft mit kleinen steilen Straßen. Dort lebten sie in einer 65-Quadratmeter-Wohnung im Erdgeschoss.

Die Immobilie gehört einem schwäbischen Geschäftsmann, der zuletzt in Thüringen als Liquidator von Firmen arbeitete. Er ist längst Rentner, den Winter über lebt er auf den Kanaren. Der 81-Jährige, der locker als 60 durchgehen würde, reagiert sofort auf das Klingeln. „Ja, Bachmann hat hier gewohnt“, sagt er. „Das war aber zu einer Zeit, als ich nicht hier war.“ Sein Sohn habe dann aus der Bild-Zeitung erfahren, wen sie sich als Mieter ins Haus geholt hatten. Man habe dem Pegida-Führer daraufhin gekündigt, sagt der alte Mann.

Auch die Frau aus der Parallelstraße, die gerade zwei Hunde ausführt, erfuhr vom neuen Nachbarn erst aus der Zeitung. „Wir waren alle total schockiert“, sagt die Mittfünfzigerin. Sie frage sich, was Bachmann auf Teneriffa eigentlich wolle. „Der hetzt doch bei seinen Montagsparaden in Dresden gegen Ausländer.“ Man muss wissen: Die Großgemeinde Adeje, zu der Armenime gehört, hat 43 000 Einwohner, 46 Prozent davon sind zugezogen.

Bevor Bachmanns Umzug bekannt wurde, war er dabei, sich zumindest im Touristenzentrum Playa de la Americas einen Namen zu machen. Sogar der Parkwächter in der Tiefgarage am Strand erkennt ihn auf einem Foto sofort wieder. Bachmanns dortiges Stammlokal offeriert Schnitzel in zig Variationen, Nürnberger Würste und Obazda. Wie die Karte, so das Publikum: deutsch. Die Chefin spricht Bayerisch, der Zungenschlag ihres Freundes, einem Kellner, verrät die Chemnitzer Herkunft. Bachmann verstehe zu feiern, sagen sie. „Party machen, das kann er. Und er macht eine herausragende Soljanka.“

Anfangs hätten sie gar nicht gewusst, mit wem sie da feierten. Irgendwann aber habe er sie am Tresen gefragt: „Wisst Ihr eigentlich, wer ich bin? Ich bin der Pegida-Gründer.“ Inzwischen sei man mit Bachmann befreundet. Er sei ein Kumpeltyp. „Ein feiner Mensch, sehr hilfsbereit.“ Die Wirtin vertritt den Standpunkt: „Jeder kann seine politische Meinung haben, solange er die anderen Gästen damit nicht belästigt.“ Dennoch treffe man sich jetzt nur noch privat.

Sie wolle nicht riskieren, dass ihr Lokal den Ruf einer Nazikneipe bekomme. Bachmann habe angeboten, nicht mehr zu kommen, sollte es seinetwegen Probleme geben. Und die gab es offenbar. Nachdem aufgeflogen war, wer ihr Stammgast ist, seien einige Wirtskollegen ringsum auf die Barrikaden gegangen.

Sabine Siedentop betreibt die „Bar Berlin“. Bachmann sei wohl mal bei ihr gewesen, sagt die 47-Jährige. „Aber da war ich nicht da.“ Sollte er ihre Bar noch einmal betreten, werde sie ihn sofort bitten, zu gehen. „So jemanden will ich bei mir nicht sehen.“ Auch Touristen sollen empört reagiert haben. Urlauber aus Dresden hätten ihn mit ihren Handys fotografiert – ob aus Begeisterung oder Verachtung, ist nicht bekannt.

Seit Donnerstag dürfte es für Bachmann noch schwieriger werden, unerkannt zu bleiben. Das meistgelesene deutschsprachige Blatt der Insel, der Kanaren-Express, zeigt an diesem Tag auf seiner Titelseite das Konterfei des Pegida-Chefs, versehen mit einem roten Stempel „persona non grata“. Die Redaktion erklärt im Editorial, sie begrüße die Entscheidung ihrer Volksvertreter einhellig.

Wohl auch deshalb lässt sich der Mann, der so gerne populär sein will, in der Öffentlichkeit kaum noch sehen. Zurückgezogen surft er den ganzen Tag über in seinem Appartement durchs Internet, argumentiert für Trump, für Le Pen, für Pegida; zieht Muslime, Linke, die grüne „Pädopartei“ und die Bundesregierung ins Lächerliche. Er tut kund, sich juristisch gegen den Bescheid der Stadt Dresden zu wehren, die ihn bis 2021 nicht mehr als Versammlungsleiter akzeptieren will. Und er widerspricht Meldungen, er habe den Schuldspruch gegen ihn wegen Volksverhetzung akzeptiert.

Am Sonntag wird Bachmann voraussichtlich wieder zurückfliegen. Seine Anhänger werden am Montagabend im kalten Dresden auf ihn warten und ihn feiern. Das wird Balsam für seine Seele sein.

Mitarbeit: Ulrich Wolf