Sächsische Zeitung, Sachsen, 04.03.2017

Raus aus der braunen Herde

Ex-NPD-Funktionärin Jasmin Apfel kämpft gegen ihre Vergangenheit – und für einen neuen Namen ihrer Kinder.

Von Britta Veltzke und Tobias Wolf

2017-03-04-JasminApfelAussteigerDer Wendepunkt liegt in einer alten Kaufhalle: Ein schnörkelloser Flachbau. Davor eine verblichene Sitzgruppe aus Beton. Aus den Ritzen zwischen den Steinplatten sprießt Gras. Die Halme, die aus dem harten Boden ragen, könnten ein Sinnbild für Jasmin Apfels Leben sein. Der Drang, etwas zu durchbrechen, das fast ihr ganzes Erwachsenenleben bestimmte: eine Rechtsextreme zu sein, NPD-Funktionärin und erste Hausfrau der Neonaziszene. Jasmin Apfel will all das nicht mehr sein. Und der Anfang vom Ende dieses Lebens liegt hier. Sie lächelt, stützt sich auf den Holzzaun, als könnte er ihr den Halt geben für das, was nun kommt.

Bis 2012 trafen sich hier Familien zum Spielen, Basteln, Reden. Irgendwann stieß Apfel mit ihren Kindern dazu. „Ich habe in der Kaufhalle Anschluss gefunden. Man hat mich dort nicht verurteilt, weil ich eine Rechte bin.“ In einem Sozialraum, der der 33-Jährigen bis dahin unbekannt war. „Ich habe dort auch mal andere Meinungen gehört. Wenn man immer nur umgeben ist von Menschen, die das Gleiche denken, dann kommt man nicht zu einer unabhängigen Meinung.“ In der rechten Szene laufe man der Schafsherde hinterher oder man führe sie an. Jasmin Apfel hat beides getan.

Schon 2012 hat sie mit ihrer Partei gebrochen, trat aus der NPD aus und legte ihren Posten als Geschäftsführerin des Rings Nationaler Frauen nieder. Als sie noch an die Nazi-Ideologie glaubte, geißelte sie ein vermeintlich multikulturelles verzerrtes Familienbild, beschwor die intakte deutsche Familie mit mehreren Kindern als Ideal. Ein Ideal, das sie lebte. Mit ihrem Noch-Ehemann Holger Apfel hat sie vier Kinder. Auch er hat mit seiner Partei gebrochen. Beide miteinander. Die Scheidung soll noch dieses Jahr über die Bühne gehen. Noch ein Ende, noch ein Neuanfang.

Nach einer ersten Trennung hatten sie es noch einmal versucht, 2014 ein Lokal am Ballermann auf Mallorca übernommen – „Maravillas Stube – bei Jasmin & Holger“. Schnitzel, Bier und Sangria. „Das war Holgers Traum.“ Noch im gleichen Jahr ist sie plötzlich wieder zurück in Riesa. Die Trennung war letztlich eine Flucht, erzählt sie. „Wir sind einfach weg. Ich habe die Kinder genommen und bin gegangen. Ich habe ihm das nicht gesagt.“

Jetzt ist Jasmin Apfel offiziell Aussteigerin und lebt von Hartz-IV. Sie ist Teil eines Programms, das sich der Freistaat rund 260 000 Euro im Jahr kosten lässt. Sie ist einer von zehn aktuellen Fällen. Sie kämpft, sagt sie. Gegen die Vergangenheit. Für die Kinder. Die größte Hypothek sei der Nachname. Die Kinder sollen nicht mehr so heißen. „Apfel, der Name ist verbrannt. Das klingt hart.“ Die Frau mit den schulterlangen, rot gefärbten Haaren hat nichts schrilles oder lautes. Nicht einmal, wenn sie etwas besonders betonen will. Kaum vorstellbar, dass die rundliche Dame mit den gemütlichen Zügen einmal den Ring Nationaler Frauen geführt hat.

Jasmin Apfels Riesaer Anwalt Sebastian Lohse will für die Namensänderung der Kinder kämpfen. „Gute Argumente gibt es, insbesondere wegen der Stigmatisierung, die das Kindeswohl beeinträchtigen.“

In der rechten Szene gelandet ist die Norddeutsche 2002. „Ich war sozial in einer schwierigen Situation. Ich war 19 Jahre alt, schwanger, allein.“ Sie sieht die Armut in den Straßen Hannovers, wo sie damals lebt, die Obdachlosen und Junkies, ärgert sich über die deutsche Entwicklungshilfe, findet Zahlungen ans Ausland ungerecht. „Ich wollte mich dagegen auflehnen.“ Von der NPD fühlt sie sich angesprochen, meldet sich bei der Partei in Berlin. Kurz darauf gibt es das erste Treffen mit dem Kreisverband Hannover. „Es war die einzige Partei, die sich explizit auf Deutsche bezogen hat, die ganz klar gemacht hat: Deutsche zuerst, das Geld muss bei uns bleiben“, sagt sie rückblickend. „Ich war jung, ich war naiv. “ Und sie war willkommen. „Man war plötzlich wer, man wurde wahrgenommen, wertgeschätzt, man wurde gebraucht – gerade dadurch, dass ich nicht völlig auf den Kopf geknallt bin.“

2004 lernt sie Holger Apfel bei einem Kongress kennen. „Damit fing der Schlamassel eigentlich erst richtig an.“ Aber sie habe ihn geliebt, aufrichtig. „Auch, wenn das viele vielleicht nicht glauben können.“ Sie habe hinter ihm gestanden. „Holger sollte zu Hause ein Heim haben, eine Familie, damit er weiß, wofür er arbeitet. Ideologisch hatten wir unsere Differenzen. Aber nach außen hin stand ich immer hinter ihm.“ Das sei immer noch das, was Familie bedeutet: Zusammenhalt. „2012 habe ich dann entschieden, dass ich mit dem Holger nicht mehr glücklich bin und dass das alles nicht mehr meins ist.“

Kameradschaft, Hass gegen alles Nichtdeutsche, der verbindet Jasmin Apfel jedoch über lange Jahre mit der Neonaziszene: Die Partei wird zum Familienersatz. „Ich setze mich jetzt gerade damit auseinander, was ich ideologisch zurücklasse. Warum war sie wie sie war, warum glaubte sie all das, was heute so falsch erscheint? Geheilt sei sie noch lange nicht. „Aber die Vergangenheit einfach abstreifen, das geht leider nicht.“ So ein Ausstiegsprozess kann lange dauern, sagt ein Insider, der für das staatliche Programm arbeitet. Wie bei dem Ex-NPD-Promi, der seit sechs Jahren dabei ist. Ideologisch sei der Mann schon sehr weit weg vom Rechtsextremismus, habe aber massive psychologische Defizite, sich in der Gesellschaft zurecht zu finden.

Jasmin Apfel hingegen sei eine reflektierte Frau, so schätzt der Ausstiegshelfer nach dem Gespräch mit ihr ein. „Wie viele andere auch, hat sie schon auf einem längeren Weg gemerkt, dass etwas nicht stimmt in ihrem Weltbild.“ Dass alle angeblich gleich sind, und dann doch Einzelne nicht. „Sie wusste, warum sie unsere Hilfe braucht.“ Um wegzukommen von den Rechten, aber auch um Orientierung zu finden.

Dass sie jetzt wieder in Riesa lebt, hat mit den Kindern zu tun. Eine gewohnte Umgebung, feste Strukturen, bekannte Kitas und Schulen. Deshalb sei sie auch nicht anonym woanders hin gezogen. „Mit dem Namen Apfel steht man überall sofort im Fokus.“

Auch die Kirche spielt eine Rolle. Ulrich Dombrowski ist Pfarrer der katholischen Gemeinde St. Barbara. Er weiß um Jasmin Apfel, dass sie gemieden wurde. Als sie im Kinder-Liturgiekreis half oder mit dem Nachwuchs Plätzchen buk. Apfels galten damals als aalglatt und trainiert darin, sich herauszuwinden, wenn kritische Fragen gestellt wurden. „Sie versucht Halt zu finden, vielleicht auch in der Kirche“, sagt der 55-Jährige. „Ich hoffe, dass sie diesen Weg gut schafft und ich würde sie dabei unterstützen, wenn sie auf mich zukommt.“ Rache alter Kameraden muss sie wohl nicht befürchten. Gerade jetzt mit ihrem Ausstieg aus der Neonazi-Szene an die Öffentlichkeit zu gehen hat wohl mit dem geplanten Buch ihres Mannes zu tun.

Holger Apfel ist immer noch auf Mallorca. Er will bleiben, komme nur selten nach Riesa, versuche seine Kinder dennoch so oft wie möglich zu sehen. „Aber das ist auf die räumliche Entfernung nicht so leicht“, sagt der 46-Jährige am Telefon. Seine Noch-Frau habe einen neuen Lebensgefährten. „Ich wünsche ihr Glück.“ Er habe nicht vor, wie sie ins Ausstiegsprogramm des Freistaats zu gehen, will das aber nicht weiter kommentieren. „Es ist ihre persönliche Entscheidung.“ Sein Buch „Irrtum NPD“ soll bald herauskommen. Keine Abrechnung, eine kritische Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit und mit seiner Partei, sagt Apfel.

Er habe die NPD nach österreichischem Vorbild zu einer Art deutscher FPÖ zu machen, sei aber damit gescheitert. Von der Politik habe er sich schon im Januar 2014 verabschiedet. Er wolle niemandem nach dem Munde reden, auch wenn die einen ihn bis heute für den Rechtsradikalen halten, die anderen aber für einen linken Aussteiger. „Ich bin aber nicht über Nacht zum Antifaschisten mutiert, der sagt, alles was ich 25 Jahre lang gemacht habe, war Nonsens.“ Aber es habe eine Entfremdung eingesetzt, die ihn zum Rückzug bewogen habe. Vom Ausstiegsprogramm hält er nichts. „Man wechselt nicht so fundamental die Seiten“, sagt Holger Apfel. An der Ernsthaftigkeit seiner Noch-Ehefrau zweifle er aber nicht.

Die besuchte früher rechte Liederabend und Nazidemos. Heute trifft sie sich mit ihren muslimischen Nachbarn zum Tee und hilft bei Behördengängen und Arztbesuchen. „Er ist schon länger da. Sie durfte jetzt nachkommen, aus Damaskus, Syrien.“ Aber das Paar wolle weg aus Riesa, weg aus Sachsen. „Es ist ihnen zu ausländerfeindlich hier. Sie sagen, dass ich die einzig nette Person sei. Ausgerechnet ich. Ist das nicht ironisch?“

Mitarbeit: Gunnar Saft